Tagebuch




Himalaya Basecamp

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Jürgen im Wildberry Restaurant, Ashford, WA

Puh, das war ein anstrengender Tag gestern und ich habe geschlafen wie ein Murmeltier. Das Zimmer im Grey Gull inkl. Balkon ist echt klasse - es hat sogar eine Feuerstelle. Leider haben wir nicht so viel davon, weil wir gestern einfach komplett „auf“ waren und heute schon weiter fahren. Wir lassen es aber sehr ruhig angehen, heute morgen und skypen noch mit Vater und Birgit. WIFI ist auch klasse hier.

Gegen 09:00 Uhr geht es dann los - hier ist alles in doppelspurigen Einbahnstraßen mit Grünstreifen dazwischen organisiert. Na gut, Platz haben sie genug - wenige Häuser, viel Fläche. Neben dem Grey Gull sperrt ein Haifisch seinen Rachen auf. Da könnten wir frühstücken gehen, wissen aber nicht, ob wir dann nicht selbst gefrühstückt werden. Also verzichten wir.

Das erste Teilstück der Fahrt ist eher trist. Die Landschaft hat nicht viel zu bieten, das Wetter ist diesig. Es geht nach Osten. Immer wieder rollen Trucks mit Logs, also Baumstämmen, vorbei. Das ist wie gestern. Die haben echt Gewicht zu transportieren. Auf dem Foto ist ein „Kleiner“, die Großen gestern hatten 20-40 Baustämme geladen - oder aber 5 in den entsprechenden Maßen.

Erster Stop: Olympia. Dass dieses Nest die Hauptstadt von Washington ist (und nicht Seattle!) wusste ich vor einigen Wochen auch noch nicht. Aber sie haben ein stattliches Capitol hier - das kann sich sehen lassen. Weil alles eher entspannt aussieht fahren wir noch bis zur Waterfront, parken und strolchen etwas herum. So ein Mittagessen-Frühstück wäre jetzt gut. Heute Morgen hatten wir nur Kaffee und Keks, aber wir sind ja genügsam.

Da kommt die kleine Ansammlung an Food-Trucks gerade recht. Nun gut, die Tische fasst man besser nicht an, aber die Menüs sehen einladend aus und es gibt sogar die von mir so heiß geliebten Burritos beim Mexikaner. Also: ich bestelle einen (zum teilen) mit Chicken, Beef, Pork, Avocado, Beans, Reis und Salsa und lasse den natürlich in zwei Teile teilen. Wir setzen uns an einen der Tische und packen die in Alu gehüllten Hälften aus. Ich bin dabei von uns beiden ja eher der Fingerfood-gewandte Esser. Heute nicht! Meine Hälfte macht - wider aller Gesetze der Schwerkraft - einen doppelten Salto und landet - „flatsch“ - auf dem appetitlichen Tisch. Na super! Jetzt schnell sein: 30 Sekunden-Regel: alles, was weniger als 30 Sekunden Kontakt mit Dreck hat, ist unbedenklich. Ich bin schnell, so unendlich schnell. Gabi wendet sich mit Grausen ab, der Burrito-Schmied spendiert Teller und Servietten zum trockenlegen. Was soll ich sagen - ich lebe noch und lecker war das Teil auch noch.

Um 14:00 Uhr sind wir in der Alexander’s Lodge in Ashford, nur eine Meile vom Eingang zum Mount Rainier NP entfernt. Die Lodge datiert aus dem Jahre 1912 und kommt sehr schnuckelig daher. Leider ist es auch hier sehr bewölkt und bedeckt - es scheint, als habe jemand das Licht ausgemacht heute. Unser Zimmer ist noch nicht fertig und so brechen wir zu einem Abstecher zum Visitor Center in der Paradise-Area auf. Das sind ja nur 20 Meilen bergauf zu fahren. Das Visitor Center liegt auf 1.647 Metern.

Dort angekommen, beraten wir uns mit einem Ranger über das Programm für morgen. Wetterprognose: eher wie heute! Es kann sein, dass wir den Vulkangipfel als Hauptdarsteller dieses Nationalparks gar nicht zu Gesicht bekommen - obwohl wir den ganzen Tag planmäßig an seiner Flanke herumklettern werden. Ideen für ausgiebige Wanderungen haben wir jedenfalls. Wir schauen uns auch noch einen Infofilm über den Mount Rainier an. 4.392 Meter ist der hoch. Beeindruckende Aufnahmen, gute Erklärungen. Es handelt sich hier um einen bildschönen, aber auch aktiven Vulkan. Irgendwann wird er - wie der Mount St. Helens etwas weiter südlich 1980 - ausbrechen. Dann möchten wir nicht in der Nähe sein. Eindrucksvoll sind die Erläuterungen der Folgen: Ein Ausbruch würde neben der Lava auch sog. „Lahare“ (= Mudflows) erzeugen: Massen von geschmolzenem Gletscherwasser, die sich mit Schlamm vermischt ins Tal stürzen, Bäume und alles, was im Weg ist, mitreißen und 100.000enden das Verderben bringen. Gut, dass Gabi gerade im „Guest Directory“ auf dem Zimmer gelesen hat, was wir in solch einem Fall machen müssen: sammeln und auf höheres Terrain führen lassen (Tsunami-Taktik nenne ich das mal). Auf keinen Fall mit dem Auto wegfahren, denn damit flüchtet man bergab und da ist der Lahar immer der Schnellere - sogar schneller als der ultraflinke Burrito-Fänger.

Auf dem Rückweg halten wir bei den Narada Falls an und gehen ein Stück. Sehr schöne Wasserfälle mit der pitoresken Brücke obendran.

Wieder im Motel überlegen wir, wie wir es mit dem Abendessen halten. Zurück nach Ashford mögen wir nicht mehr fahren. Hier gegenüber ist das „Wildberry Restaurant“ - zunächst erkunden wir aber den kleinen Store am Parkeingang. Dort erstehe ich eine Dose Bier für heute Abend und Gabi ein paar Dosen Cider. Die Verkäuferin empfiehlt das „Wildberry“ und so steuern wir es gleich an.

Große Überraschung!! Das Restaurant wirbt draussen mit: „Featuring a taste of two worlds: Traditional Sherpa Himalayan Dishes & American Mountain Menue“. Wir bekommen einen Tisch auf der Terrasse und die Speisenkarte bietet neben interessanten Burgern tatsächlich „Sherpa-Food“. Wir bestellen „Chicken Thali“. Das ist Reis mit einem Hühnchen-Curry, einer Erbsen-Linsensuppe, etwas Rohkost, einem scharfen Möhren-Erbsensalat und einer eingelegten Habanero. Extrem schmackhaft! Das Mac & Jack’s Amber Beer passt ausgezeichnet dazu. Uns fallen die Gebetsfahnen auf, die hier hängen - wie im Basislager auf dem Everest. Und dann kommen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus: innen finden wir eine Figur mit kompletter Everest-Ausstattung sowie weiteren Utensilien aus dem Höhenbergsteigen. Die Urkunden und Zeitungsartikel rundherum beschreiben, dass der Besitzer des Wildberry, Lhakpa Gelu Sherpa (Nepal) 15 Mal (!) als Sherpa mit auf dem Gipfel des Mount Everest war (10 Mal über die Süd- und 5 Mal über die Nordroute). Zudem war er am 26. Mai 2003 mit 10 Stunden, 56 Minuten und 46 Sekunden der schnellste Mensch, der je vom Basislager auf den Gipfel des Mount Everest gestürmt ist. Unfassbar!! Das ist genau das Richtige für mich - interessiere ich mich doch sehr für die Geschichte und Technik zur Besteigung dieses besonderen Berges. Auf dem Gipfel des Mount Rainier war er übrigens schlappe 95 mal.

Und so hatten wir heute nicht nur die erste Akklimatisation am Mount Rainier, sondern auch noch das echte „Basislager-Feeling“ mit authentischem Sherpa-Essen und erstaunlicher Begleitgeschichte. Ich bin begeistert.

Nun habe ich wieder viel mehr geschrieben, als ich wollte. Hoffe, es gefällt euch dennoch. Und jetzt ist Feierabend - mal sehen, ob das WIFI zum Upload reicht - es ist eher schwach auf der Brust, mal sehen.

Gute Nacht wünscht Sherpa Jack MacBaetz.


Tagesetappe: 288 Kilometer
Übernachtung: Alexander’s Lodge***, 237515 State Road 706 East, Ashford, WA 98304

© 2022 Gabi & Jürgen