Tagebuch




Über den Wolken ...

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Gabi & Jürgen auf dem High Ridge Trail, Olympic NP, WA

… ist die Freiheit grenzenlos und, was noch viel besser ist: es scheint die Sonne. Doch eins nach dem anderen:

Ich habe gestern Abend viel zu viele Fotos ausgesucht für die Website und das hat irgendwie alles ziemlich lange gedauert. Am Ende war ich zu müde, um alles noch hochzuladen. Außerdem war ich noch nicht zufrieden mit der Überschrift und wollte Gabi auch gerne noch Korrektur lesen lassen. So habe ich mich gegen 21:30 Uhr ins Bett gehauen - wohl wissend, dass Gabi, die ja schon seit Stunden schlief, die Nacht irgendwann zum Tag machen würde. Es war aber entspannter als befürchtet: erst gegen 04:00 Uhr wird sie unruhig und ich bitte sie, sich mit meinen Ergebnissen vom Vorabend zu beschäftigen. Macht sie und 45 Minuten später ist die Website online.

Wir versuchen, möglichst zügig wegzukommen aus Seattle, denn wir sind ja extrem früh wach gewesen. Aber da gibt es zunächst ja noch Frühstück und dann wollen wir auschecken - leider mit Hindernissen. Auch der Transport der Koffer vom Zimmer in die Tiefgarage ist nicht so einfach, wenn nur einer von zwei Aufzügen bis ganz unten fährt - aber 6 x der andere die Türen öffnet und sich der eigentlich benötigte Fahrstuhl einfach nicht blicken lässt. Ich bleibe erstaunlich ruhig - was man nicht ändern kann … Nach tatkräftiger Unterstützung aus der Heimat (danke an Olaf von der Volksbank - die sind echt auf Zack, merken, dass meine Kreditkarte am anderen Ende der Welt verwendet wird und sperren sie vorsichtshalber mal - geben sie aber ebenso schnell wieder frei) rollen wir gen Norden. Das Navi schickt uns Schleichwege. Die sind wirklich schön anzusehen und setzen uns noch mehr in den Urlaubsmodus.

An der Fähre Edmonds - Kingston kommen wir dann genau passend an. Wir müssen nicht lange warten, verfrachten unseren Nissan an Bord, verbringen die Überfahrt recht zugig an der frischen Luft und sind dann auch wirklich ländlich unterwegs. Aus dem Radio ertönt Country-Musik und wir sind definitiv angekommen im Chill-Modus.

Das Safeway in Kingston hatten wir zu Hause schon ausgesucht. Google-Maps sei Dank! Hier erledigen wir unseren ersten Einkauf. Mengen von Wasser, ein paar Chips, Obst, Wein, Nüsse, Müsliriegel für den Notfall und ähnliches wandern in den Einkaufswagen. Die Preise haben auch hier nochmal angezogen und angesichts des Umtauschkurses von quasi 1:1 ist das alles andere als lustig. Gut, dass wir unseren „Mitgliedsausweis“ von Safeway aus dem Jahre 2011 dabei haben. So sparen wir immerhin gut 11 $ auf den Einkauf.

Um 12:30 sind wir am Motel in Port Angeles, können sofort einchecken, packen die Koffer aufs Zimmer und ziehen uns um. Wie gestern Mittag ist es auch heute diesig. Warm zwar, aber eben sehr bedeckt. Unser nächstes Ziel ist das Visitor Center des Olympic National Park an der Hurrican Ridge Road. Vorstellen könnten wir uns, den Nachmittag oben auf der Hurrican Ridge zu verbringen. Die heißt so, weil dort regelmäßig äußerst heftige Winde wehen. Als wir 2018 hier waren, lag oben Schnee und es war bitterkalt. So hatten wir uns zumindest schon mal für lange Hosen entschieden.

Aber oh Wunder: die Rangerin im Visitor Center sagt, oben sei es heute echt schön. Und: Recht hat sie! Sie gibt uns einige Tipps für Wanderungen und wir beraten uns intensiv zum morgigen Tag - neben den bereits von uns ausgesuchten Dingen hat sie viele Tipps parat. Klasse!

Über unzählige Serpentinen fahre ich uns von quasi Null auf 1.594 Meter hoch. Dabei durchbrechen wir die Wolkendecke und siehe da: oben ist es total sonnig, es gibt blauen Himmel vom Feinsten und warm ist es zusätzlich noch.

Zu Beginn begeben wir uns auf den Cirque Rim Trail, den wir schon kennen. Schöne Aussichten und Tiefblicke bilden ein fantastisches Panorama. Nur das Atmen fällt hier etwas schwerer, besonders beim bergauf schnaufen. Wir biegen um eine Ecke - da steht ein Mule Deer, ganz nah. Wir pirschen uns heran und es gelingen ein paar schöne Bilder von dem vorsichtigen, aber nicht allzu schreckhaften Tier.

Der High Ridge Trail geht noch steiler bergan und wir hecheln ein wenig den Berg hinauf. Dafür bieten sich tolle Ausblicke auf die Olympic Mountains und die unter uns liegenden Wolkenfelder. Mit dem Auto fahren wir noch einige Meilen weiter und nehmen dann den Hurrican Hill Trail unter die Sohlen. Der Weg ist asphaltiert, aber z.T. sehr, sehr steil. Ein junger Mann schiebt einen Kinderwagen hinauf, andere Eltern kommen uns mit Säuglingen vor der Brust oder Kleinkindern im Tragegestell entgegen. Respekt!

Wir genießen die Sonne und die frische Luft, sparen uns aber dann den letzten Aufstieg über ein weiteres steiles Wegstück völlig ohne Schatten. Wir sind ja erst am Anfang des Urlaubs und müssen es nicht zwingen. Gegen 17:00 Uhr sind wir wieder am Zimmer und machen uns über die Fotos her. Danach fahre ich noch einmal kurz um den Block und besorge uns eine Meatzza bei Dominos. Tolle Pizza mit fleischhaltiger Auflage. Saulecker!! Anschließend schreibe ich dieses Tagebuch und jetzt ist gleich Feierabend. Immerhin fast 1,5 Stunden früher als gestern. Nur hochladen kann ich die Website heute nicht mehr. Was sich hier W-LAN nennt, hat mit Internert nichts zu tun.

Und so kehre ich noch einmal zurück zum guten, alten Reinhard aus der Familie Mey:

„Über den Wolken - muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.
Alle Ängste, alle Sorgen - sagt man,
blieben darunter verborgen und dann
würde, was uns groß und wichtig erscheint,
plötzlich nichtig und klein!“

Nehmt diese Worte mit in eure nächste Nacht - süße Träume von der Welt „über den Wolken“ wünsche ich euch! Bis morgen!! Schlaft so gut wie wir!

Tagesetappe: 214 Kilometer
Übernachtung: Aircrest Motel**, 1006 East Front Street, Port Angeles, WA 98362

Bainbridge, Beer, Borussia

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Jürgen am Bainbridge Brewery Alehouse, Bainbridge Island, WA

Die Nacht war sehr ok für eine erste nach der langen Anreise. Wir sind zwar immer wieder mal wach, aber im Grunde kommen wir bis halb sechs klar. Dann richten wir Dinge für die nächsten Tage und frühstücken lecker. Es gibt wirklich alles, was das Herz begehrt, außer Breakfast Burritos. Aber hängen wir die Ansprüche mal nicht zu hoch.

So sind wir früh auf den Füßen und starten bei warmen 28 Grad Richtung Innenstadt. Bei den Seattle Firefighters an der 4th Avenue hängt die Fahne auf Halbmast. Klar: 9/11! Das ist nun auch schon 21 Jahre her. Wenige Meter weiter steht ein Riesen-Wassereis und Gabi muss sich das mal genauer anschauen.

Wir erreichen Pike Place Market, unser erstes Ziel für heute. Dort gibt es wie immer viel zu sehen. Besonders der frische Fisch, das knackige Gemüse und die bunten Blumen haben es uns angetan. Zur Erheiterung der Besucher schmeißen sich einige Angestellte einen fangfrischen Lachs zu - da muss mancher den Kopf einziehen, die Fische fliegen tief heute. Wer genau hinschaut, sieht den fliegenden Lachs auf einem der Fotos. In einer Ecke finden wir eine Art Apotheke mit wunderlichen, fremden Kräutern. Zwischendurch schauen wir noch beim ersten Starbucks Coffeeshop aller Zeiten vorbei - hier stellen sich Leute tatsächlich in eine 50 Meter lange Schlange, nur um gerade dort viel Geld für einen Kaffee auszugeben.

Als wir uns sattgesehen und -fotografiert haben wechseln wir wieder zurück auf die 1st Avenue und erreichen bald das Seattle Art Museum mit dem riesigen Kerl davor, der den Hammer schwingt. Tiny Little Bear, der wieder mit von der Partie ist, begrüßt zwei Artgenossen auf einem Schild. Wieder einige Blocks weiter erreichen wir mit dem Pioneer Square den historischen District. Zwischendurch gibt es immer wieder viel zu entdecken. Dazu gehören leider auch eine ganze Reihe von Obdachlosen, die maximal ein Zelt mittel auf dem Bürgersteig ihr eigen nennen. Manche haben nicht mal das und sie schlafen auf dem nackten Bürgersteig. Traurig.

Rund um den Pioneer Square finden wir interessante Geschäfte und bewundern den alten Häuserbestand. Den gefallenen Firefightern hat man hier ein Denkmal gesetzt. Auch Totempfähle gibt es hier. Ins Klondike Gold Rush Museum müssen wir rein. Mittels Film informieren wir uns darüber, wie Seattle mit dem Gold Rush am Klondike und Yukon groß und bekannt wurde. Hier war die „Homebase“ für alle Expeditionen und all die Glücksritter, die sich hier mit dem notwendigen Lebensbedarf für die Wildnis eindeckten, bevor sie sich vor 150 Jahren ins große Abenteuer „Goldschürfen“ stürzten. Einige machten ihr Glück, viele erlebten genau das Gegenteil.

Mit dem „Lumen Field“ erreichen wir die Stadien der Stadt und die Heimat der „Seattle Sea Hawks“. Die Falken spielen hier in dem riesigen Stadion American Football und sie haben kleine und große Fans. Auch in Chinatown ist Sonntag und man spielt Ping-Pong unter freiem Himmel. Wir lassen uns einfach treiben, das ist alles sehr entspannt.

2018 hatten wir eine größere Hafenrundfahrt gemacht. Für dieses mal haben wir uns etwas anderes ausgedacht: am Nachmittag fahren wir mit der Fähre nach Bainbridge Island hinüber. Das dauert ca. 35 Minuten und schon dreht sich die Welt noch langsamer. Auf der Insel gibt es quasi nur eine Hauptstraße, an der schöne Geschäfte liegen. Gleich zu Beginn stehen wir vor dem Bainbridge Brewery Alehouse. Da wir ohnehin Durst haben nach den ersten 10 Kilometern lassen wir uns nicht lange bitten. Ein hiesiges Cider für Gabi, ein Bier für mich; das schmeckt wunderbar an der frischen Luft.

Bei einem Outdoor-Ausrüster sind Flipflops im Angebot und zwar genau meine geliebten OluKais. Ich hatte mir aus Hawaii 2015 ein Paar mitgebracht und die sind einfach auf. Was liegt also näher, als sie hier und heute zu ersetzen? Nach Hawaii können wir ja trotzdem nochmal fahren - dafür müssen aber die Preise wieder sinken und der Wechselkurs wieder steigen. Der sportliche Verkäufer ist in meinem Alter und fragt mich, ob ich einen favorisierten Fußballclub habe. Dass er Fußball kennt ist schon verwunderlich. Auf meine Antwort, dass ich einen Club habe, den er ganz sicher nicht kennen wird, bohrt er nach. Ich verweise auf die Borussia und jetzt bin ich mit Staunen dran: sein Lieblingsspieler sei immer Rainer Bonhoff gewesen - und Uli Stielike. Unfassbar!

Weil es so schön war gönnen wir uns noch mehr Cider und Bier am Alehouse. Sonntagnachmittag, Urlaub - es kann so schön sein. Gabi meint, jetzt hätte ich mein Urlaubsgesicht aufgesetzt. Wozu? Zu Recht! Dann bringt uns die Fähre zurück nach Seattle.

Dort geht’s noch an Miner’s Landing und dem „Great Wheel“ vorbei, immer die Waterfront entlang, wo gerade ein riesiges Kreuzfahrtschiff ablegt.

In unmittelbarer Nähe unseres Hotels finden wir einen Thailänder. Hunger haben wir jetzt auf jeden Fall. Crispy Rolls als Vorspeise, Pad Thai für Gabi und ein scharfes Curry für mich schmecken richtig prima. Zum „Löschen“ gibt es noch ein gezapftes Bierchen. Das mit dem Trinkgeld habe ich ja eigentlich drauf - jetzt staune ich aber wirklich: erstmals hat sich jemand getraut, das Trinkgeld bereits auf die Rechnung zu setzen und zwar nicht nur als Vorschlag, sondern in die Endsumme eingerechnet. Das finde ich bei allem Verständnis dann aber doch deutlich übergriffig und das sage ich der Bedienung auch. Die wird - obwohl ich wirklich freundlich bleibe - noch kleiner als sie ohnehin schon ist und entschuldigt sich vielmals. Sie erklärt mir, da habe sie wohl einen Fehler gemacht. Nun ja, trotz aller Freundlichkeit war ich sicher auch deutlich - so was sei mir in 11 Jahren noch nicht vorgekommen. Am Ende bekommt sie, was auf der Rechnung steht - aber freiwillig!

Im Hotel sinkt Gabi gleich aufs Kissen und eben habe ich sie gefragt, ob sie wirklich durchschlafen will. Will sie. Das wird sich heute Nacht irgendwann rächen, weil sie dann ausgeschlafen ist. Ich kann sie aber sehr gut verstehen. Fast 19 Kilometer zu Fuß und das nach der Anreise gestern - da darf man müde sein. Ich habe jetzt auch viel länger für Bilder, Tagebuch und Website benötigt als gewollt. Aber so ist es halt fertig und ich lege mich jetzt auch hin.

Die Fragen des Tages: Muss man Fische fliegen lassen? - Eigentlich nein, lustig ist es aber. Muss man stundenlang anstehen, nur um einen Kaffee im ersten Starbucks der Welt zu kaufen? - Ich denke nein. Muss man die verschiedenen Biersorten der Bainbridge Brewery probieren? - Muss man nicht - aber die schmecken echt toll! Wer macht Borussia Mönchengladbach weltbekannt? - Rainer Bonhoff & Uli Stielike. Wie sollte der perfekte Sonntag aussehen? - Keine Ahnung - aber der heutige kam dem sicher sehr nahe!

Gute Nacht - morgen früh brechen wir auf in den Olympic National Park. Darauf freue ich mich sehr. Den notwendigen Jahrespass haben wir heute im Gold Rush Museum bereits gekauft.

Tagesetappe: 18,9 Kilometer gelaufen
Übernachtung: Hyatt House Downtown***, 201 Fifth Avenue North, Seattle, WA 98109

© 2022 Gabi & Jürgen